Sie küßten und sie schlugen ihn (Les quatre cents coups) (1959)

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Der 13-jährige Antoine schwänzt lieber den Unterricht und streunt in Paris herum, als seine Zeit in der Schule zu verschwenden. Von seinen Eltern und besonders seiner Mutter wird er vernachlässigt, und so sucht er Gesellschaft bei seinem Freund Rémy. Zusammen ziehen sie durch die Großstadt und hecken jede Menge Streiche aus: Sie gehen ins Kino, rauchen und klauen, bis Antoine schließlich beim Diebstahl einer Schreibmaschine geschnappt und auf die Polizeistation gebracht wird. Nach einer Nacht hinter Gittern wird er am nächsten Morgen in eine Erziehungsanstalt für straffällige Jugendliche eingeliefert…

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Der 13-jährige Antoine schwänzt lieber den Unterricht und streunt in Paris herum, als seine Zeit in der Schule zu verschwenden. Von seinen Eltern und besonders seiner Mutter wird er vernachlässigt, und so sucht er Gesellschaft bei seinem Freund Rémy. Zusammen ziehen sie durch die Großstadt und hecken jede Menge Streiche aus: Sie gehen ins Kino, rauchen und klauen, bis Antoine schließlich beim Diebstahl einer Schreibmaschine geschnappt und auf die Polizeistation gebracht wird. Nach einer Nacht hinter Gittern wird er am nächsten Morgen in eine Erziehungsanstalt für straffällige Jugendliche eingeliefert…

 

-SPOILERWARNUNG- WIKIPEDIA

Sie küßten und sie schlugen ihn (französischer Originaltitel Les Quatre Cents Coups, dt. etwa: Die vierhundert Streiche) ist ein Kinofilm des Regisseurs François Truffaut.

Der Film gilt als Klassiker der französischen Filmgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und begründete maßgeblich die Nouvelle Vague.


Handlung:

Die Handlung zeichnet den Weg des 14-jährigen Antoine nach, der in Paris Ende der 1950er-Jahre in recht bescheidenen Verhältnissen bei seiner lieblosen Mutter und dem eher kumpelhaften Stiefvater aufwächst. Angestiftet besonders von seinem besten Freund René, einem Jungen aus reichem Hause, wird Antoine durch Streiche auffällig und schwänzt häufiger die Schule. Eines Tages gibt er als Entschuldigung den angeblichen Tod seiner Mutter an, was schnell als Lüge auffliegt. Nach dieser Infamie drohen ihm Sanktionen.

Antoine läuft davon und verbringt eine Nacht in der Stadt. Die Mutter – die er beim Schulschwänzen mit einem fremden Mann gesehen hat – gibt sich kurzzeitig zugewandt und verständnisvoll. Sie verspricht ihm 1000 Franc, falls er sich bessern und den besten Aufsatz seiner Klasse abliefern sollte. Antoine schreibt von Honoré de Balzac ab, als der Schullehrer einen Aufsatz über ein beeindruckendes Erlebnis verlangt und der Junge den Tod seines Großvaters zum Thema wählt. Dies fällt dem Lehrer sogleich auf, und Antoine läuft aus der Schule davon. Am liebsten will er nun ganz seinem Zuhause und der Schule entkommen. Er kommt zunächst bei René unter, dessen Eltern sich ebenfalls nicht viel um den Sohn kümmern.

Zusammen mit dem Freund entwendet er aus der Firma des Stiefvaters eine Schreibmaschine, um sie bei einem Hehler zu Geld zu machen, wird sie dort aber nicht los. Beim Versuch, die Schreibmaschine unbemerkt zurückzubringen, wird er entdeckt und vom Stiefvater der Polizei übergeben. Die Eltern willigen ein, Antoine in einem Erziehungsheim in der Provinz unterzubringen und wollen sich fortan nicht mehr um ihn kümmern.

Antoine flieht schließlich aus dem nach militärischen Prinzipien geführten Heim und läuft in der letzten Szene des Filmes ans Meer, das er nie zuvor gesehen hat.


Hintergründe:

Der Film Sie küßten und sie schlugen ihn ist Truffauts erster Langfilm und begründete die Nouvelle Vague. Die Geschichte um den Jungen (gespielt von Jean-Pierre Léaud), der in ignoranter Umgebung aufwächst, ist zugleich Beginn des Antoine-Doinel-Zyklus, den Truffaut mit Antoine und Colette, Geraubte Küsse, Tisch und Bett und Liebe auf der Flucht über den Zeitraum der folgenden zwanzig Jahre fortsetzte.

Der Originaltitel spielt auf eine französische Redewendung („faire les 400 coups“) an, nach der ein Mensch 400 Streiche macht, bevor er vernünftig wird (faire les quatre cents coups – in etwa: sich die Hörner abstoßen). Der Ursprung dieser Redewendung kommt aus der Zeit der Hugenotten-Rebellion. Bei der Belagerung von Montauban (August bis November 1621) verfeuerten die erschöpften, katholischen Belagerer in einer letzten Anstrengung 400 Kanonenkugeln auf die protestantische Stadt. Nach diesen Schlägen war die Stadt frei.

Als der Film 1959 in die Kinos kam, fehlten sieben Szenen mit einer Gesamtlänge von sieben Minuten, die Truffaut erst 1967 wieder in das Werk eingefügt hat.

Als Cameo-Auftritt ist Truffaut selbst in einer kleinen Nebenrolle als Rummelplatz-Mann zu sehen.


Kritiken:

„Der erste Spielfilm des damals 27jährigen Francois Truffaut begründete durch seine stilistische Intelligenz und Aufrichtigkeit den Ruhm der Neuen Welle. Ein stilistisch und inszenatorisch wundervoller Film, der die zutiefst humane Geisteshaltung seines Schöpfers spiegelt.“ Lexikon des Internationalen Films

„Truffaut hat seinen Erstlingsfilm mit Verve und Engagement inszeniert. Das hat ihn zu einigen Übertreibungen verführt, sichert dem Film aber auch Spontanität und Authentizität.“ Reclams Filmführer

Hommage bei den Simpsons

In einer Folge der Zeichentrickserie Die Simpsons gibt es eine Anspielung auf Sie küßten und sie schlugen ihn. Nelson Muntz läuft dabei wie die Hauptfigur Antoine Doinel am Ende des Films am Meer entlang.


Auszeichnungen:

François Truffaut und Marcel Moussy wurden für das Drehbuch für den Filmpreis Oscar nominiert.

François Truffaut gewann den Regiepreis und den OCIC Award bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 1959.

New York Film Critics Circle Award – Bester fremdsprachiger Film (1959)

Association Française de la Critique de Cinéma – Prix Méliès (1960)

Bodil – Bester europäischer Film (1960)


6 Kommentare

  • Bravourstück einer cineastischen Revolution

    Die unscharf umrissene Zwielicht-Zone zwischen Kindheit und Erwachsensein, die so lapidar als Pubertät bezeichnet wird, markiert vor allem auch einen Zustand abgründiger Einsamkeit, an die sich der französische Filmtheoretiker und Filmemacher François Truffaut mit seinem Spielfilmdebüt Sie küssten und sie schlugen ihn auf intensive Weise erinnerte. Nichts sei erfunden, bemerkte der Regisseur und Autor über sein stark autobiographisch geprägtes Jugend-Drama, alles erlebt, selbst oder berichtet. Und es sind eben diese ebenso faszinierende wie schonungslose Authentizität sowie François Truffauts mitunter waghalsige Weigerung, Schmerzliches zu vermeiden, die diesem Auftakt zu seinem umfassenden, kostbaren Werk an Spielfilmen seine eindringliche Qualität verleihen.

    Den damals 14jährigen Jean-Pierre Léaud hat sich François Truffaut als Verkörperung des jungen Antoine Doinel erwählt, der unter widrigen Umständen bemüht ist, die Balance zwischen kecker Unbekümmertheit und nahender Verzweiflung in seinem zwölfeinhalb Jahre alten Leben zu finden. Und dieses ist durchtränkt von einer inneren Isolation, die in düsteren, starken Bildern einen wahrhaft berührenden Ausdruck findet: In der Schule als allzu leicht zu identifizierendes Subjekt von Unruhe und Störungen, im Elternhaus als emotional vernachlässigtes Kind und auf der Straße als ungeschützt streunender Junge. Dennoch stattet François Truffaut seinen tragischen Helden als Reminiszenz an die eigenen Kindheitserlebnisse mit tragenden Komponenten aus.

    Es ist eine widerborstige Individualität, die Antoine Doinel auszeichnet und darauf hinweist, dass er das Potential und Talent besitzt, seine Hilflosigkeit angesichts der Übermacht an Repression eines Tages in kreative Kräfte zu verwandeln. Zudem hat er einen Freund, seinen Klassenkameraden René (Patrick Auffay), mit dem er vertraulich verbunden ist, sowohl bei Vergnügungen als auch bei Schurkereien und existentiellen Nöten. Zuvorderst ist es aber die gleichermaßen bedrohliche wie tröstliche Gewissheit des Jungen, die sich im Verlauf der Geschichte einstellt, dass hier eine ganze Gesellschaft bei der Erziehung ihrer Nachkommen versagt, die sich nach Liebe, Freiheit und Entfaltung sehnen, worin auch die zentrale Aussage von Sie küssten und sie schlugen ihn verortet werden kann.

    Betrachtet man diesen seinerzeit international äußerst erfolgreichen Film – 1959 bei den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt und für die Beste Regie sowie mit dem OCIC Preis prämiert und unter anderem mit einer Oscar Nominierung ausgezeichnet – im Zusammenhang mit seiner Wirkungsgeschichte im Rahmen der sich damals formierenden Nouvelle Vague, so markiert Sie küssten und sie schlugen ihn den fruchtbaren Auftakt einer cineastischen Revolution, die formal und inhaltlich meisterhaft mit der Inszenierung dieser Kindheitsreflexion François Truffauts korrespondiert. Hierin manifestiert sich auch die Symbiose zwischen dem vom Kino begeisterten und getrösteten Kind und dem avantgardistischen Filmemacher, dem es gelingt, seine ureigenen Vorstellungen letztlich durchsetzungsfähig zu etablieren.

    Wer es wagt, die signifikanten, zuvorderst peinigenden Momente der eigenen Kindheit und Jugend aufrichtig nachzuempfinden, kann in diesem Film einen Schatz finden, der die Gefühle und das Gebaren seines jungen Protagonisten behutsam behandelt und nahe liegende Ironisierungen zugunsten charmanten Humors wohlweislich vermeidet. Hier vermischen sich bedeutsame, sorgfältig transportierte Inhalte mit vor fünfzig Jahren innovativer Filmkunst, deren Ausprägungen noch heute zu bezaubern und zu berühren vermögen. Sie küssten und sie schlugen ihn ist schlichtweg ein großartiges Werk über den Wert der oftmals auch kruden Ungezähmtheit der jungen Generation sowie ein Plädoyer für ihr Recht auf eine geschützte Entwicklung und eigensinnige, freiheitliche Entfaltung, zu der auch Fehler und Irrwege gehören.

  • Mit großer stilistischer und inszenatorischer Intelligenz erzählt François Truffaut das Unglück des missverstandenen Jungen Antoine Doinel. Bei den Filmfestspielen in Cannes 1959 schlug der Film ein wie eine Bombe.

    Der Film von morgen wird individuell und autobiographisch sein wie ein Tagebuch, schrieb François Truffaut während seiner Zeit als Filmkritiker. Sein eigenes Leben war immer auch der rote Faden für sein filmisches Werk, in dem sich die bedeutenden Momente seines Daseins zusammenfügten. Insbesondere in seinem Debütfilm Sie küssten und sie schlugen ihn (Les quatre cents coups, 1959), der auf den Filmfestspielen von Cannes 1959 den Regiepreis gewann und damit die kinoästhetische Revolution der Nouvelle Vague so richtig ins Rollen brachte, ist die autobiographische Dimension ganz eindeutig. Truffaut erzählt in der Geschichte des zwölfjährigen Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) seine eigene schwierige Kindheit. Als uneheliches Kind von der Mutter ungeliebt und von den Erwachsenen unverstanden, reiht Antoine Streiche und Possen aneinander, bis er mit dem Diebstahl einer Schreibmaschine im Büro seines Stiefvaters den Bogen überspannt.

    Truffaut hatte sich als Kritiker mehrmals über die heuchlerische Darstellung der Kindheit im französischen Nachkriegskino aufgeregt, insbesondere in Jean Delannoys Melodrama Wie verlorene Hunde (Chiens perdus sans collier, 1955), das ein kitschig herzzerreißendes Bild jugendlicher Straftäter aus der erwachsenen Perspektive eines Jugendrichters malt. In seinem Debütfilm hingegen setzt er filmische Mittel wie Großaufnahmen und Schuss-Gegenschussverfahren mit großer stilistischer Intelligenz so ein, dass die Geschichte konsequent und authentisch aus der Sicht des Jungen in Abgrenzung zur Erwachsenenwelt erzählt und die Empathie des Zuschauers für seinen Protagonisten gewonnen wird. Das Talent seines Hauptdarstellers Jean-Pierre Léaud, der zu einem Star der Nouvelle Vague werden sollte, beeindruckt insbesondere in der berühmten Szene des Fragegesprächs zwischen Antoine und einer Jugendpsychologin, in der Truffaut seinen Schauspieler die Antworten improvisieren ließ und mit Direktton aufzeichnete.

    Aufgrund der zahlreichen Parallelen zur Kindheit des Regisseurs wirkt der Film wie eine scharfe Abrechnung mit seiner familiären Vergangenheit. Indigniert brachen Truffauts Eltern nach dem Kinostart den Kontakt zu ihrem Sohn für drei Jahre ab. Sie küssten und sie schlugen ihn, dem vier weitere Filme über zwei Jahrzehnte folgen werden, eröffnet den Zyklus Antoine Doinel, der eine wahre éducation sentimentale des jungen Antoine als Alter Ego des Regisseurs erzählt.

  • Sie küßten und sie schlugen ihn (Frankreich). Im Mai 1958 wurde der damals 27jährige Kritiker Francois Truffaut vom Filmfestival in Cannes ausgeschlossen: Er hatte ätzende Kritik an der französischen Filmfabrikation geübt. Im Mai 1959 wurde er auf dem Cannes-Festival geehrt: Er hatte mit seinem ersten Abendfüller „Les quatre cents coups“ den Regie-Preis errungen. In diesem Film erweist sich Truffaut als zorniger junger Franzose, der sowohl die Erziehungsmethoden der Vorgeneration als auch die Inszenierungsweise der Regie-Veteranen verachtet. Indem er die Geschichte eines vernachlässigten Jungen erzählt, propagiert er einen modernen Regie-Stil, der sich mehr auf Milieu und Situation als auf den Ablauf der Handlung konzentriert. Wie schon zwei andere französische Kino-Erfolge dieser Saison – „Les Cousins“ („Schrei, wenn du kannst“) und „Le Clochard“ („Im Kittchen ist kein Zimmer frei“) – wurde allerdings auch dieser Film in Deutschland nicht nur mit einem Krawall-Titel bedacht, sondern auch durch eine vergröbernde Synchronisation entstellt. (Les Films du Carosse.)

  • Truffauts Debüt- Film ist sehr stark autobiographisch gefärbt, er verarbeitet in ihm viele Erlebnisse aus Jugend.

    Damit setzt er seine eigene Forderung, „daß der Regisseur nur das verfilmen sollte, was seinen eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen entspricht” („Die Chronik des Films”), konsequent um. So wird Antoine von seiner Mutter ebensowenig geliebt wie der junge François. Antoines Mutter sieht in ihm mehr einen Laufburschen und Diener als ihren Sohn, was dadurch zur Geltung kommt, dass Antoine die meiste Hausarbeit verrichten muss. Indem Truffaut die Mutter praktisch nur in Imperativen zu ihrem Kind sprechen lässt, bringt er das Verhältnis der beiden sehr gut zum Ausdruck.

    Auch seine eigene Schulzeit – er war ja kein besonders guter Schüler und mochte die Schule nicht sehr – bringt Truffaut in den Film ein; gleich zu Beginn wird Antoine vom Lehrer bestraft, als die gesamte Klasse ein anzügliches Frauen- Foto herumwandern lässt, er aber als einziger erwischt und bestraft wird.
    Die Tatsache, dass Antoine sich recht leicht von seinem Freund René dazu überreden lässt, zu schwänzen, spiegelt auch die Gefühle des Regisseurs gegenüber der Schule, die dieser nie besonders ernst nahm, wieder. Antoine vergnügt sich lieber auf dem Rummelplatz und geht ins Kino, in die „Cinémathèque francaise” von Paris; dieses Kino war auch ein häufiger Aufenthaltsort des jungen François Truffaut. In dieser Szene verweist Truffaut übrigens auf ein Werk, das gerade erst entsteht, er lässt das Kino, das Antoine und René besuchen, Rivettes „Paris Nous Appartient” ankündigen – eine kleine Huldigung an seinen Freund. Und wie Truffaut Plakate, so stehlen Antoine und René ein Foto aus einem Kino.

    Weitere Parallelen zwischen dem jungen François und Antoine sind ihr Interesse für Balzac und der Gefängnisaufenthalt.

    Somit ist Antoine Doinel einer der persönlichsten und autobiographischsten Filmcharaktere überhaupt, er ist wahrhaftig das „Alter Ego” Truffauts.

    Damit der Film, der ein an sich trauriges Grundthema („Junge hat Probleme zu Hause, begeht kleinere Delikte und kommt ins Gefängnis”) behandelt, nicht zu bedrückend gerät, lockert Truffaut die Handlung mit humorvollen und ironischen Szenen auf. Während eines Wandertages stehlen sich z.B. allmählich so viele Schüler davon, dass der Lehrer am Schluss dieser Sequenz nur noch einen Schüler hinter sich hat. Ironie blitzt auf, wenn Antoines Mutter, die ihn ja nicht gerade gut behandelt, sich wundert, dass ihr Sohn in seiner Ausrede sie und nicht ihren Mann sterben ließ.

    Dass der Regisseur Antoine nicht nur als armes, unglückliches Opfer seiner Umwelt anlegt, sondern auch als rebellischen Jungen an der Schwelle zur Pubertät, verdeutlicht auch, dass Truffaut keinen traurigen Film drehen will, nicht nur Mitleid für Antoine fordert. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Szenen, in denen es um einen Auto- Atlas geht, den Antoine seinem Stiefvater gestohlen haben soll. Dieser schlägt seinen Sohn sogar, da er denkt, Antoine belüge ihn in dieser Angelegenheit. Doch Antoine beteuert nach wie vor, er wisse nicht, wo der Atlas sei und der Zuschauer glaubt ihm, weil er das möchte, schon allein da er die Schläge des Vaters mißbilligt. Doch in einer späteren Szene taucht der Atlas wieder auf, und zwar in den Händen Antoines!

    Auch die Tatsache, dass Antoine im Verlauf des Films mehrmals Diebstähle begeht, heimlich raucht, mit seinem Freund Wein trinkt, frech gegenüber anderen ist ( Er spricht einen männlichen Passanten auf der Straße mit „Madame” an) und sein freies Leben genießt, revidiert die Vorstellung des „unglücklichen Jungen” und betont seine rebellische, unangepasste Haltung.

    Auch das optimistische Ende sorgt dafür, dass der Zuschauer das Kino nach Les quatre cent coupsLes quatre cent coups nicht allzu bedrückt verlässt.
    Was die formale Gestaltung anbelangt, so werden technische Effekte, die „so gekonnt wie mutig eingesetzt” werden und Kamera, die „sich mit einer neuen Freizügigkeit durch die Straßen von Paris” bewegt, „andererseits dem Jungen bei seiner langen Konfrontation mit dem Psychiater starr in die Augen blickt”2, besonders gelobt. Szenen, in denen diese „neue Freizügigkeit” besonders zu erkennen ist, sind die Anfangssequenz, in der die Kamera eine lange Straße von Paris hinab- und schließlich unter dem Eiffelturm hindurch wandert oder die „Wandertags- Szene”, die komplett von den Dächern der Häuser aus gefilmt ist.

    Kritiker sind der Meinung, „daß Truffauts Film als Vertreter der „Nouvelle Vague” deren Anspruch auf Lebendigkeit und persönlichem Gehalt in Form und Inhalt am besten einlöst.” ( “Die Chronik des Films”)

  • Truffauts Debütfilm erhielt in Cannes 1959 den Preis für die Beste Regie. „Les quatre cent coups“ – der Titel bezieht sich auf die Nackenschläge des Lebens – gilt als ein Schlüsselwerk der Nouvelle Vague. Die Geschichte des träumenden, aufsässigen, verschrobenen und fantasievollen Antoine, der in einer repressiven Umwelt lebt, erzählt Truffaut mit viel Einfühlung. Die Kamera streift freizügig durch Paris. Truffaut widmete dem von Jean-Pierre Léaud, der sich zum Star der Nouvelle Vague entwickelte, gespielten Antoine Doinel vier weitere Filme.

  • „Sie küssten und sie schlugen ihn“ trägt wahrlich eine eigene Note unter den Filmen seiner Zeit. In seiner Struktur, Symbolhaftigkeit und Inhalt bildet der Film ein harmonisches Ganzes und haucht den Atem des Autorenkinos. Francois Truffaut stützt in seinem ersten Langfilm die Handlung im Grunde auf seine eigene Autobiografie und Erfahrungen als Schüler. Bevor Truffaut angefangen hatte, sich eingehend mit Literatur, dem Schreiben und dem Film auseinander zu setzen hat er ebenfalls viele Scherereien in der Schule mit Lehrern und Schülern auszustehen gehabt, hat die Schule abgebrochen und ist wie Antoine letztendlich in einem Erziehungsheim gelandet. Es ist daher ein offensichtliches Verlangen Truffauts, in seinem ersten Film von seinen Erfahrungen zu erzählen und dem Schulalltag einen entscheidenden Teil des Films zu widmen.

    Truffauts Film trägt dabei eine ziemlich desillusionierte Aussage von Frankreichs Ellenbogen-Gesellschaft und dem kläglichen Versagen der Lehrer und Erziehungspersonen, die der Regisseur in schon dokumentarischer Genauigkeit vor Augen hält. Nichtsdestotrotz strotzt der Film von humorvollen Situationen, die sich meistens aus einem sehr ernsten Kontext ergeben. Eines solcher köstlichen Momente ergibt sich, wenn die Kamera von Henri Decaë langsam durch das Klassenzimmer schweift und die Schüler in aufgezwungenem Bemühen über eine Diktatmitschrift zeigt – einer der zahlreichen Szenen, in denen der Lehrer Petite seine Zöglinge in festem Griff zu haben scheint. Und gerade diese bittere, freudlose Situation wird von Truffaut kurzzeitig entkräftet, wenn er einen Schüler herausgreift und dessen Bemühen mitzukommen und das Diktat fehlerfrei und in Schönschrift ins Heft zu übertragen, persifliert. Das Herausreißen von Blättern, wenn der Junge sich verschreibt, und dessen steigende Frustration, nicht mitzukommen, wird an die Spitze getrieben und irgendwann sind tatsächlich alle Blätter aus dem Heft gerissen und die sich einstellende Resignation beim Knaben mehr komisch als tragisch.

    Durch Szenen dieser Art wird die zur Realität gewordene Tristheit stellenweise aufgehoben und lässt Optimismus und die schönen Seiten des Lebens durchscheinen. Das ist einer der Gründe warum „Sie küssten und sie schlugen ihn“ so authentisch wirkt und den Zuschauer in die Handlung miteinbezieht.
    Der Protagonist Antoine ist gezeichnet von großer Ambivalenz in seinem steten Wandel zwischen zwei Welten. Die Welt der Unterdrückung und das omnipräsente Gefühl des Eingesperrtseins manifestiert sich als Hauptcharakteristik von Antoines Alltag, sei es in den übervollen Klassenzimmern, der engen und von Möbeln verstellten Wohnung und dem käfigartigen Gefängnis der Polizeistation (in dem er eine Nacht verbringen muss), oder durch die von Autoritäten und Pädagogen ausgeübten Vorschriften und Tadel. Dieser Welt gegenüber steht der Wunsch nach Ausbruch, aus den engen, stickigen Räumen in die weiten, dynamischen Straßen und Parks und auf den Rummelplatz von Paris, aber auch das Einatmen von der Freiheit und dem großen Wunsch des Knaben, den eigenen Tagesablauf selbst bestimmen zu können und sich über die strengen Vorschriften hinweg zu setzen. Antoines Traum ist konsequenter Weise die größte aller Freiheitserfahrungen – das Meer zu sehen.

    Truffaut füllt seinen Film auch mit vielen akribisch ausgearbeiteten Details, wie z.B. das unpersönliche Verhalten der Lehrer gegenüber den Schülern, sowie deren verschrobene Art und Hang zur Grausamkeit gegenüber den ihnen ausgelieferten Jungen. Die Charaktere sind alle sehr sorgfältig gezeichnet (so dass deren Motive und Hintergründe für den Zuschauer sehr nachvollziehbar sind und man sich mit den Handelnden auch leicht zu identifizieren vermag), wenn sie geplagt werden von den typischen Problemen des Alltags und untereinander in Dialogen interagieren, die einem sehr vertraut und alltagsnah erscheinen. Obwohl der Film in den 50ern in Frankreich spielt, sind dessen Themen wie Leistungsdruck, gesellschaftlich fundiertes Rollenverhalten, Betrug, Diebstahl, Verzweiflung, Untreue und Verlangen nach Selbsterfüllung zeitlos und auch auf das moderne Leben von heute übertragbar.

    Auch wenn „Sie küssten und sie schlugen ihn“ mit langen Kamerafahrten, kunstvoller Bildgestaltung (Truffaut selbst war die mise-en-scéne ein wichtiges Anliegen) wenig Schnitten und Plansequenzen auf sehr viele filmästhetische Stilmittel zurückgreift, wirkt der Film nicht wie ein stilistisch überladener und künstlich wirkender Hollywoodfilm, sondern ist vielmehr von hohem Dokumentarcharakter durchsetzt. Das kommt davon, dass Truffaut sich weigerte, auch nur eine Aufnahme in einem Studio zu drehen und sich direkt auf die Straßen, in real existierende Wohnungen und Klassenzimmer begab und seine Kameras direkt im Alltagsgeschehen platzierte. Die Kinematographie ist auch nicht statisch, sondern setzt zahlreiche kreative Ideen und Einfälle um und ist dabei immer nah dran an den Schauspielern (was besonders bei Jean-Pierre Léaud eine Freude ist, da er die Gabe hat, ohne Worte mimisch die Emotion auf den Zuschauer unmittelbar zu übertragen). Durch den sporadischen Schnitt tastet die Kamera den Raum der Handlung lange ab und bietet den Schauspielern auch die dementsprechenden Entfaltungsfreiheiten. Auffallend ist dabei wie oft Léauds Präsens den Film dominiert; auch in den Szenen, in denen sein Gesicht nicht zu sehen ist, spürt man (sei es durch die Dialoge der Eltern, Lehrer, Pädagogen oder die vorherige, eindringliche Szene) den direkten Bezug zu ihm und fühlt sich, sobald man sich auf den Charakter erst einmal eingelassen hat, am Geschehen direkt beteiligt.

    Auch die Musik ist dezent gehalten und versetzt mit ihren melodischen Klavier- und Klarinette-Tönen die emotionalsten Szenen in eine sehr atmosphärische Stimmung.

    Es lassen sich noch viele andere technische Raffinessen und liebevoll eingestreute Details von Truffauts Liebe zum Film, der Aufarbeitung von Jugenderlebnissen und seinem souveränen Freigeist in dem Film aufzählen. Auf diese einzugehen und den direkten, stimmigen Bezug zu den Charakteren und der Handlung des Films zu ziehen, würde sehr viel Spaß bereiten und dabei noch mehr Zeilen erfordern, doch an dieser Stelle sei einfach die Empfehlung an den geneigten Leser gerichtet, sich dieses Juwel der Filmgeschichte selbst anzuschauen und sich zu überlegen wie viel man doch seiner eigenen Kindheit an wertvollen Erinnerungen und Stoff für mitreißende Geschichten zu verdanken hat.

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